Saas-Fee war Liebe auf den ersten Blick
Der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer, berühmt geworden durch Werke wie «Der Hauptmann von Köpenick» oder «Des Teufels General», entdeckte Saas-Fee bereits 1938. Erst zwanzig Jahre später konnte er sich im Oberwalliser Ferienort niederlassen. Seiner Wahlheimat blieb er treu bis zu seinem Tod im Januar 1977. Sein Grab wird nach wie vor Jahr für Jahr von Touristen besucht.
Dem 1896 im rheinhessischen Nackenheim geborenen Carl Zuckmayer gelang der literarische Durchbruch als 29-Jähriger mit der Komödie «Der fröhliche Weinberg». Danach folgten weitere Theaterstücke wie «Schinderhannes» oder «Katharina Knie», die beim Publikum grossen Anklang fanden, obschon sie bei der Kritik durchfielen. In der gleichen Zeit schrieb er das Drehbuch zum Film «Der blaue Engel», der mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle 1930 in die Kinos kam, zum Welthit wurde und Kultcharakter erwarb.
Sein grösster Erfolg war indes die Militärsatire «Der Hauptmann von Köpenick», die im März 1931 im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt wurde. Das Werk wurde danach dreimal verfilmt. Die berühmteste Fassung war diejenige von 1956 mit Heinz Rühmann in der Rolle des Hauptmanns von Köpenick.
Flucht vor den Nazis
Carl Zuckmayer war Halbjude. Das Aufkommen der Nazis liess nichts Gutes ahnen. Sein «Hauptmann von Köpenick» trieb die Nationalsozialisten zur Weissglut und so wurden 1933 seine Bücher im Nazi-Deutschland verboten. Sein älterer Bruder Eduard, ein angesehener Pianist der Reichsmusikkammer, wurde wegen den jüdischen Wurzeln der Mutter mit Berufsverbot belegt. Eduard emigrierte in die Türkei. Carl floh seinerseits vor den Nazis – ganz knapp vor seiner geplanten Verhaftung – über die Westschweiz nach Österreich. Nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich floh Carl Zuckmayer weiter via Paris und Rotterdam in die USA. Dort verbrachte er die Kriegsjahre und wurde 1946 eingebürgert.
In den Kriegsjahren entstand mit «Des Teufels General» sein wichtigstes und erfolgreichstes Theaterstück der Nachkriegszeit, das 1946 im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Mit dem «Teufel» war niemand anders als Adolf Hitler gemeint. Das Stück wurde 1955 verfilmt mit dem brillanten Curd Jürgens in der Rolle des Generals. Der Film wurde zu einem Welterfolg. Es folgten Dramen wie «Der Gesang im Feuerofen» und «Das kalte Licht». Carl Zuckmayer galt in den 1950-er Jahren als bedeutendsten Dramatiker des deutschsprachigen Raums.
Erste Eindrücke rosten nicht
«Wenn man hier bleiben könnte» – das soll Zuckmayer gesagt haben, als er 1938 erstmals in Saas-Fee ankam. Er hatte sich auf der Flucht vor den Nazis am Genfersee einen längeren Zwischenhalt gegönnt und machte von dort aus einen Ausflug ins Oberwallis. Das liebliche Saastal und die Umgebung der Bergwelt hatten ihn tief beeindruckt. Es war Liebe auf den ersten Blick.
In den 1950-er Jahren, nach den ersten Nachkriegswirren, besuchte er ein weiteres Mal das Gletscherdorf. Am oberen Dorfrand entdeckte er ein Chalet, das ihm sofort gefiel. Das Haus «Vogelweid» gehörte dem Basler Chemiker Oskar Eckstein. Es gelang ihm 1958, die «Vogelweid» Eckstein abzukaufen. Er liess das Haus gründlich umbauen. Danach liess er sich mit seiner Familie endgültig im geliebten Saas-Fee nieder, wo er weiter arbeitete und das Leben genoss. Dort entstanden u.a. seine Memoiren «Als wär’s ein Stück von mir».
Famoser Weinkeller
Beim Umbau seines Hauses hatte Carl Zuckmayer darauf geachtet, dass er auf einen guten, grossen Weinkeller zurückgreifen konnte. Schliesslich war er in der Nähe von Mainz in einem Weingebiet als Sohn eines Weinkapselherstellers aufgewachsen. Er galt als Weinkenner und Weingeniesser. Sein ausgezeichneter Weinkeller wurde in Saas-Fee rasch bekannt. Zuckmayer, Wallis und Wein – das passte wunderbar zusammen!
In seiner Wahlheimat fühlte er sich pudelwohl. Für ihn war schnell klar, dass er für immer in Saas-Fee bleiben würde. Im Jahr 1961 liess er sich sogar einbürgern. Carl Zuckmayer starb im Januar 1977 im Alter von 81 Jahren im Spital von Visp. Auf dem Friedhof von Saas-Fee wurde er begraben. Seine Frau Alice lebte weitere 14 Jahre in der «Vogelweid». Nach ihrem Tod übernahm die Tochter das Haus, das sie 2004 aus Altersgründen verlassen und deshalb verkaufen musste.
Das Rilkedorf Raron
Zahlreiche Künstler aus den verschiedensten Sparten haben sich seit dem frühen 20. Jahrhundert im Oberwallis niedergelassen. So der ungarische Pianist György Sebök, Gründer und langjähriger Leiter des Sommerfestivals von Ernen im Goms, wo er 1999 begraben wurde, der deutsche Schriftsteller Edzard Schaper, der in den 1950-er Jahren in Münster lebte, die schwedische ABBA-Sängerin Frida Lyngstad, die in Zermatt wohnt oder die ostdeutsche Kunstmalerin Adelheid Sandhof, die in Mund wohnhaft ist. Das sind nur einige Beispiele unter vielen.
Besonders erwähnenswert ist die Walliser Phase des berühmten Schriftstellers Rainer Maria Rilke (1875-1926). Rilke hatte in zahlreichen Regionen Europas gelebt. Als Literat wurde er zeitlebens bewundert, obschon ihm seine Sympathien für den italienischen Faschistenführer Mussolini Anfang der 1920-er Jahre zu einer umstrittenen Persönlichkeit machten. Die letzte Phase seines Lebens verbrachte er in der Schweiz. Er wohnte im kleinen Schloss von Muzot oberhalb von Siders. Von dort aus begab er sich oft in das nahe gelegene Raron, wo er gerne die hoch über dem Dorf gelegene Burgkirche besuchte. Den Burghof beschrieb er als Platz, von wo aus «ich Wind und Licht dieser Landschaft empfangen habe».
Obwohl Rilke nie in Raron gewohnt hat, sondern in Siders, wurde das Dorf zwischen Visp und Gampel zum «Rilkedorf». Hier wurde Rilke seinem Wunsch entsprechend begraben, an der südlichen Mauer der Burgkirche. Regelmässig pilgern noch heute Touristen nach Raron, um das Grab des Dichters zu besuchen. Auch bekannte Persönlichkeiten begaben sich aus diesem Grund ins Rhonetal, so beispielsweise der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Der Grabstein trägt ein Gedicht des Rosenliebhabers Rilke, in dem er die widersprüchliche Spannung des Lebens zwischen Sehnsucht nach Ruhe und Trieb zur Lebensfülle auf eine für ihn typische Weise ausdrückt: «Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern».
Die einzigartige Berglandschaft des Wallis bewegt ganz offensichtlich die Künstlerseelen. Die Umgebung zeigt die überwältigende Vielfalt und Schönheit der Natur, gleichzeitig ermöglicht sie ein tiefes In-Sich-Gehen. Einerseits fühlt sich der Mensch in ihr geborgen, andererseits ganz klein. In der grenzenlos scheinenden Bergwelt werden dem Menschen seine eigenen Grenzen aufgezeigt. Dies wirkt sich inspirierend und zugleich beruhigend aus.
Hervé Dubois